Nach deutscher Rechtslage können gekündigte Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage einreichen, danach gilt die Kündigung als wirksam. Diese Frist gilt grundsätzlich auch für Schwangere, wenn der Arbeitgeber ihnen trotz ihres besonderen Kündigungsschutzes kündigt.
Erfährt die gekündigte Arbeitnehmerin jedoch erst nach Erhalt der Kündigung von ihrer Schwangerschaft, ist eine Klage auch nach Ablauf der üblichen dreiwöchigen Klagefrist noch möglich – bislang allerdings nur mit einer 14-tägigen Frist. Diese Frist hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun als zu kurz bewertet.
Ausgangspunkt für die EuGH-Entscheidung war die Kündigungsschutzklage einer deutschen Pflegerin. Sie hatte erst nach der arbeitgeberseitigen Kündigung von ihrer Schwangerschaft erfahren und die Zwei-Wochen-Frist für ihren Antrag auf Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage versäumt. Das zuständige Arbeitsgericht war im Zweifel, ob diese deutsche Fristenregelung mit EU-Recht vereinbar ist, und befragte den EuGH dazu.
Der EuGH hat die Zwei-Wochen-Frist nun als zu kurz und als nicht mit EU-Recht vereinbar beurteilt.
EuGH, Urteil vom 27. Juni 2024, C-284/23
Am 9. April 2024 hat die angestrebte Bundesregierung, bestehend CDU, CSU und SPD, den Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode veröffentlicht. Dieser Koalitionsvertrag beinhaltet auch einige geplante Vorhaben in der Sozialversicherung, die Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben können.
Förderung von Mehrarbeit:
Damit sich Mehrarbeit auszahlt, sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten.
Zudem sollen neue steuerliche Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten geschaffen werden. Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, soll diese Prämie steuerlich begünstigt werden.
Ob und in welchem Umfang diese neuen Förderungen auch sozialversicherungsfrei gestellt werden, steht aktuell noch nicht fest. In der Regel folgt der Steuerfreiheit aber auch bislang bei ähnlichen Maßnahmen die Sozialversicherungsfreiheit.
Rentenversicherung:
Die Alterssicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung soll für alle Generationen auf verlässliche Füße gestellt werden. Dazu wird das Rentenniveau bei 48 Prozent gesetzlich bis zum Jahr 2031 abgesichert. Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, sollen aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren wird auch künftig möglich bleiben.
Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente geplant. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll das Arbeitsentgelt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei gewährt bekommen. Zur Sozialversicherungsfreiheit wird noch keine konkrete Aussage getroffen. Die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze wird erleichtert, indem das Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben und dadurch befristetes Weiterarbeiten ermöglicht wird. Für Hinterbliebenenrentner werden bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten geschaffen.
Zudem soll ab Anfang 2026 die Frühstart-Rente eingeführt werden. Für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, sollen pro Monat 10 Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt werden. Der in dieser Zeit angesparte Betrag kann anschließend ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden. Die Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein. Das Sparkapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und wird erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausgezahlt.
Die betriebliche Altersversorgung soll ebenfalls gestärkt und deren Verbreitung besonders in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern weiter vorangetrieben werden. Dazu soll die Geringverdienerförderung verbessert, die betriebliche Altersvorsorge digitalisiert, vereinfacht, transparenter gemacht und entbürokratisiert werden. Die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge für Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeberwechsel soll erhöht werden. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele werden aber noch nicht benannt.
Künstlersozialversicherung:
Der Abgabesatz der Künstlersozialversicherung soll stabilisiert werden. Zudem soll die Vereinfachung des Abgabeverfahrens, z.B. durch Pauschalisierung, geprüft werden. Die zunehmend digitale Verwertung von künstlerischen Werken soll ebenfalls der Künstlersozialabgabe unterliegen.
Kranken- und Pflegeversicherung:
Die finanzielle Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ist sehr angespannt, was in den letzten Jahren für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu steigenden Beiträgen geführt hat. Ziel der Koalition ist es, die Finanzsituation zu stabilisieren und eine weitere Belastung für die Beitragszahler zu vermeiden. Hierzu ist ein Gesamtpaket aus strukturellen Anpassungen und kurzfristigen Maßnahmen geplant. Ziel ist es, die seit Jahren steigende Ausgabendynamik zu stoppen und die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen zu schließen.
Für diese Aufgabe wird eine Kommission unter Beteiligung von Experten und Sozialpartnern eingerichtet. Die Kommission soll die gesundheitspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags in der Gesamtwirkung betrachten und bis zum Frühjahr 2027 Ableitungen treffen und konkrete weitere Maßnahmen vorschlagen.
Eine große Pflegereform soll die nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung sichern. Die Grundlagen der Reform soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeiten.
A1-Bescheinigung:
Künftig sollen entsandte Arbeitnehmer die A1-Bescheinigung digital und sicher mit sich führen können.
Kommt es bei einem Mitarbeiter zu einer Lohnpfändung, hat der Arbeitgeber als sogenannter Drittschuldner eine Mitwirkungspflicht. Er muss dann das zu pfändende Einkommen des Arbeitnehmers berechnen und dabei auch die geltende Pfändungsfreigrenze berücksichtigen.
Jeweils zum 1. Juli eines Jahres ändert sich die sogenannte Pfändungsfreigrenze. Im Zeitraum vom 1. Juli 2024 bis zum 30. Juni 2025 liegt die Pfändungsfreigrenze bei 1.491,75 Euro monatlich. Wie der Gesetzgeber beschlossen hat, steigt sie zum 1. Juli 2025 auf 1.555 Euro pro Monat.
Bei der Pfändungsfreigrenze handelt es sich um das Nettoeinkommen, das nicht gepfändet werden darf, und um den Betrag, den der Schuldner zur Existenzsicherung behalten darf. Damit soll gewährleistet werden, dass der Betroffene seine laufenden Kosten – zum Beispiel für Lebensmittel, Miete und Strom – weiterhin bezahlen kann. Dabei werden Unterhaltspflichten berücksichtigt. Das bedeutet, dass sich die Pfändungsfreigrenze je nach Anzahl unterhaltsberechtigter Personen erhöht.
Wenn es zu einer Lohnpfändung kommt, also wenn durch einen Gerichtsbeschluss Arbeitseinkommen eines Beschäftigten gepfändet werden soll, muss der jeweilige Arbeitgeber daran mitwirken. Er muss dann berechnen, welcher Teil des Lohns pfändbar ist. Dabei muss er die geltende Pfändungsfreigrenze berücksichtigen. Zu beachten ist, dass bestimmte Einkommensbestandteile nicht pfändbar sind, wie zum Beispiel Urlaubsgeld in üblicher Höhe, Aufwandsentschädigungen oder Gefahrenzulagen.
Der Arbeitgeber hat die Kosten, die ihm im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Lohnpfändung anfallen, selbst zu tragen.
Der am 9. April 2025 von der Union bzw. SPD veröffentlichte Koalitionsvertrag lässt sowohl für Unternehmer als auch für Arbeitnehmer so einige interessante mögliche steuerliche Neuregelungen erkennen.
Der Koalitionsvertrag enthält eine Vielzahl an geplanten Neuregelungen.
Einkommensteuer/Lohnsteuer
Gewerbesteuer/Körperschaftsteuer
Sonstiges
Ausblick
Die jeweiligen Parteien/Parteigremien müssen dem Koalitionsvertrag zustimmen. Sodann bleibt die tatsächliche Umsetzung der geplanten Regelungen über ein jeweils erforderliches Gesetzgebungsverfahren abzuwarten.
Dass geeignete Ausbildungsplatz-Bewerber kurzfristig abspringen, wird für Arbeitgeber zunehmend zum Problem bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Immer mehr Unternehmen in Deutschland berichten von Problemen bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen: Während im Jahr 2013 noch 29 Prozent der ausbildenden Betriebe nicht alle offenen Ausbildungsstellen besetzen konnten, waren es 2023 bereits 51 Prozent. Als Hauptgrund nennen die befragten Betriebe den generellen Mangel an geeigneten Bewerbungen. Jedoch berichtet auch rund jedes vierte Unternehmen mit unbesetzten Ausbildungsplätzen, dass geeignete Bewerber abspringen. Das geht aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.
Dass sich Bewerber anderweitig entschieden haben, nennen die Unternehmen im Vergleich zum generellen Fehlen von geeigneten Bewerbungen zwar deutlich seltener als Grund für die Nichtbesetzung von offenen Stellen. Doch gaben im Rahmen der Studie immerhin 27 Prozent der betroffenen Betriebe das Abspringen von Bewerbern als Grund an. „Die bereits aus dem Mangel an Bewerbungen entstandene Problematik wird dadurch weiter verschärft und dürfte die betrieblichen Handlungsmöglichkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen teils deutlich einschränken“, so IAB-Forscherin Ute Leber.
Großunternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten nennen Absprünge von Bewerbern besonders häufig als einen der Gründe für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen. Aber auch 28 Prozent der Kleinbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern haben mit diesem Problem zu tun. „Das Phänomen „Ghosting“ kann mit hohen betrieblichen Kosten verbunden sein, da nicht nur bereits in den Rekrutierungsprozess geflossene Investitionen verloren gehen. Es besteht auch die Gefahr, dass zum Beginn des Ausbildungsjahres keine passende Neubesetzung mehr erfolgen kann. Die Ausbildungsstelle bleibt dann unbesetzt und das Potenzial der Fachkräftequalifizierung ungenutzt“, erklärt IAB-Forscherin Barbara Schwengler.
Insbesondere Betriebe aus den Bereichen Finanz- und Versicherungswesen/unternehmensnahe Dienstleistungen sowie Verkehr, Information und Kommunikation berichteten im Jahr 2023 – im Vergleich zu 2013 – deutlich häufiger davon, dass Personen nach ihrer Bewerbung wieder abgesprungen sind. „Die Ergebnisse verdeutlichen, wie sehr sich der Ausbildungsmarkt von einem Anbieter- zu einem Bewerbermarkt gewandelt hat“, erläutert Margit Ebbinghaus, Co-Autorin vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).
Sofern Bauarbeiter auf Baustellen einfache Arbeiten verrichten, einen festen Stundenlohn erhalten und am Markt nicht erkennbar unternehmerisch auftreten, sind sie regelmäßig abhängig Beschäftigte im Sinne der Sozialversicherung. Die Baufirmen haben demzufolge Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Das hat das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 20. Februar 2025 entschieden.
In dem verhandelten Sachverhalt ging es Baufirmen, bei denen die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen entsprechender Betriebsprüfungen Sozialversicherungsbeiträge in fünfstelliger Höhe nachforderte. In einem weiteren Verfahren hatte sie zunächst über den Antrag auf Statusfeststellung zu entscheiden.
Die Baufirmen führten aus, dass selbstständige Werkunternehmer auf Baustellen gearbeitet hätten. Bei diesen Bauarbeitern handelte es sich um ausländische Staatsangehörige mit allenfalls geringen Deutschkenntnissen, die Abbrucharbeiten, Maurertätigkeiten und Pflasterarbeiten erledigt und oder im Trockenbau gearbeitet haben. Schriftliche Verträge oder Auftragsbestätigungen gab es nicht. Die Abrechnungen erfolgten auf Basis der aufgeschriebenen Stunden bei einem Stundenlohn zwischen 10 und 15 Euro. Die Materialien und Werkzeuge wurden bis auf Kleinwerkzeuge von den jeweiligen Baufirmen gestellt.
Das Landessozialgericht Hessen stimmte der Einschätzung der Deutschen Rentenversicherung zu. In allen Fällen liege Scheinselbstständigkeit vor. Bei einfachen, typischen Arbeitnehmerverrichtungen, die der Beschäftigte im Wesentlichen ohne den Einsatz eigener Betriebsmittel im Einwirkungsbereich des Beschäftigenden ausübe, spreche die Vermutung für ein weisungsgebundenes Beschäftigungsverhältnis. Die betroffenen Bauarbeiter seien in den Betrieb der klagenden Baufirma eingegliedert gewesen und hätten einfache Bauarbeiten getätigt, wie sie typischerweise abhängig Beschäftigte verrichteten. Werkvertragstypische Vereinbarungen einer unternehmerischen Leistung hätten nicht festgestellt werden können. Zudem seien die angeblichen „Werkunternehmer“ schon aufgrund ihrer geringen Deutschkenntnisse zu einem unternehmerischen Auftreten am Markt nicht in der Lage gewesen. Zwischen den Baufirmen und den Bauarbeitern getroffene Vereinbarungen über eine (angeblich) selbstständige Tätigkeit seien nicht relevant und könnten die gesetzlich angeordnete Sozialversicherungspflicht nicht ausschließen.
Eine Revision vor dem Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen.